Was ist die Seele des Menschen?
Was ist die Seele des Menschen? Im 21. Jahrhundert sind wir eher von der Nichtigkeit des einzelnen Lebens überzeugt. Der Neoliberalismus hat aus dem Menschen selbst, aus seinen Gefühlen und Gedanken eine Fläche von Angebot und Nachfrage gemacht. Wir würdigen den Menschen gemessen an seiner Produktivität und an seinem Erfolg. Das heißt, wer nicht produziert, existiert de facto nicht, es sei denn, er besitzt genügend Kapital, um andere produzieren zu lassen. Wer in diesem Kampf um die Märkte versagt, ist selber schuld, weil ein Markt nicht verantwortlich gemacht werden darf. Wir entwickelten eine stark verbreitete Abneigung gegen Religionen, und haben nur noch Kulturen, die sich durch ihre Exzessivität auszeichnen. Religiöse Fundamente der Ethik enthalten die wesentlichsten Quellen zur Erforschung der menschlichen Seele mit zahlreichen Antworten auf unbeantwortete, ja verbotene Fragen. Wir glauben heute mehr denn je an die Wissenschaft, die scheinbar den Platz der Religionen angenommen hat und einen neuen Dogmatismus formulierte. Einen Dogmatismus der suggerierten Evidenzen und Studien. Schauen wir uns die Wissenschaften genauer an, wird uns recht schnell klar, dass wir einen Mangel haben. Einen Mangel an wissenschaftlicher Umstrittenheit, denn der wissenschaftliche Dogmatismus verleitet die zentralen Paradigmen unserer in Richtung Übermenschlichkeit.
Rollenspiele: Wie man seine Seele verkaufen tut
Wie wir mit uns selbst umgehen, sagt viel darüber aus, wie wir mit anderen umgehen, aber auch was wir vom Leben an sich halten. Die Selbstliebe genießt höchste Popularität. Die einst ehrfurchtsvoll geschätzte Liebe ist so rar geworden, dass man einander dazu nötigt, jegliches Liebesgefühl zu sich selbst auszurichten, und das funktioniert natürlich nicht. Dieser Selbstnichtigkeitsglaube ist die Wurzel allen Übels, das es auf der Welt gibt, das wächst und Teufelskreise um uns herum zieht. Wenn wir über die Seele sprechen, dann müssen wir über das Leben sprechen. Gibt es überhaupt ein Leben im Kollektiv? Ist es erstrebenswert, das eigene Leben so auszurichten, dass man sich in seinen Rollen gänzlich auflöst, bis hin zur Unkenntlichkeit des eigenen Spiegelbildes? Ich zweifle das an.
Ein Leben im Kollektiv gibt es natürlich nicht. Jeder einzelne Mensch ist Lebensträger einer einzigen Seele, wie Carl Gustav Jung es korrekterweise formulierte. Dies zu missachten, käme einem fatalen Fehler gleich. So zum Beispiel auch im medizinischen Kontext. Dadurch dass in der Medizin alle Menschen als Patienten bezeichnet werden, die sich einer Untersuchung unterziehen, missachtet man ihre Individualität. Es gibt Gemeinsamkeiten unter Menschen, keine Frage und unsere Organe – innen wie außen – funktionieren ähnlich. Der Fluss der Kräfte ist jedoch immer ein individueller, gebunden an Anlage, Geheimnis, Situation und Biographie.
Wenn wir diese Individualität wahrhaftig respektieren, müssen wir den einzelnen Menschen achten. Dies ist nicht möglich, im Sinne eines klassischen Aufeinandertreffens von Subjekt und Objekt. Es sei denn, und da kommen wir zum Dilemma, der Mensch selbst reiht sich in eine kategorisierte Menge ein. Das tun wir nämlich, um gesellschaftsfähig zu werden, da die Gesellschaft das von uns verlangt. Wer sich nicht in Form einer Rolle einreiht, der kann sich erst gar nirgends einreihen in der Gesellschaft. Es sei denn, er sei aufgrund seines Status exzeptionell. In dem Falle gäbe es eine gesellschaftliche Freikarte hinsichtlich seiner Existenz. Wenn er diesen Status erreicht hat, ist er jedoch gar nicht mehr in der Lage dazu, sich dieser günstigen Freiheit zu bedienen. Er hat bis dahin all seine seelischen, geistigen und körperlichen Talente für die Launen der Märkte verwirkt.
Warum spreche ich über die Individualität des Menschen? Weil wir über sie sprechen müssen, wenn wir von der Seele des Menschen reden wollen. Wer nicht an die Seele glaubt, der existiert in einem ätherischen Sumpf aus Rollenspielen. Das erzeugt unermesslichen geistigen Stress und Sinnkrisen, die ihr Ende im Beginn einer tieferen Sinnkrise finden. Stress kennen wir alle und wir haben ihn als festen Bestandteil unseres Lebens – als positiven Stress – akzeptiert, obwohl Stress das nicht sein sollte. Es ist doch erstaunlich, dass deutlich ärmere Gesellschaften weltweit gar keinen (geistigen) Stress kennen. Wir als teilweise prosperierende Gesellschaft halten noch an ihn fest. Hier stimmt etwas nicht.
Viel fataler als Stress sind die Sinnkrisen, die sich daraus entwickeln und uns verändern, sogar verwandeln. Oft auch ohne dass wir es bemerken oder gar darauf vorbereitet sind. Eine Sinnkrise kann wichtig und gesund sein, wenn man z. B. ein kriminelles Leben führt oder sehr viel Unrecht begangen hat und jene destruktiven Persönlichkeitsanteile isoliert werden müssen, damit sie im Rahmen einer therapeutischen Selbstbereinigung integriert werden können. Für eine Führungskraft im Alter von 35 Jahren ist das aber sehr riskant und unverständlich. Genauso für eine Krankenschwester oder für eine Beamtin, die Mutter ist. Ein Krankenschein wird eine Sinnkrise nicht beseitigen, auch kein Arztbesuch oder funktionale Sitzungen mit diversen Psychotherapeuten, die den Menschen mit Psychopharmaka versorgen.
Die Sinnkrise ist eine angehäufte Packung aus Inkohärenzen im persönlichen Leben. Dinge, die ein Mensch tut, die aber gar nicht zu seinem Leben gehören. Die Sinnkrise setzt ein, mit zahlreichen Warum-Fragen. Und jeder Mensch missachtet Warum-Fragen, weil sie in die Tiefe gehen und die Wurzeln einer Sache zu ergründen wünschen. Wie gehen wir also mit Sinnkrisen um, die durchaus zu suizidalen Verhaltensmustern und Lebensumständen ausarten können? Ein Haufen von Warum-Fragen ist ein spiritueller Durst nach Sinn. Wie will man diesen Durst stillen, wenn man gar nicht erst daran glaubt, dass man eine Seele besitzt, obwohl sich das problematische Innenleben in der jeweiligen Realität manifestiert?
Mein Begriff der Seele
Ich nutze den Begriff Individualität, weil in einer religionsfeindlichen, materialistischen Gesellschaft der Begriff der Seele verrufen ist. Wir können allerdings auch vom Bewusstsein sprechen, denn unser Bewusstsein entspricht unserer Seele. In meiner signifikanz-basierten Seins- und Bewusstseinswissenschaft (Nafsologie) konzentriere ich mich auf das Bewusstsein und seine problematische Unbegrenztheit im Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Menschen. Die Erforschung des Bewusstseins schreitet voran, aber gleichzeitig zurück, denn ein Seelenbegriff ist in einer Gesellschaft wie der unsrigen unangebracht. Die dominante evidenz-basierte Wissenschaft erlaubt keine Erkenntnisse ohne physikalisch nachvollziehbare Evidenzen. Das mag einen nafsologisch-psychologischen Diskurs unmöglich machen, aber nicht meinen Willen in irgendeiner Art und Weise brechen. Meine Arbeit setze ich fort, in jeder Hinsicht und mit voller Breitseite. Das heißt, ich wäre bereit, jedes psychologische Wissenschaftsparadigma anzufechten, wie ich es in meinen Büchern stets tue.
Der Mensch und sein Rollenbewusstsein
Aus der persönlichen Perspektive erscheint das Leben seltsam. Besonders ein bewusst geführtes Leben, denn die gesellschaftlich dominanten Paradigmen erfordern eine gewisse Taubheit und Bewusstlosigkeit, wenn nicht sogar selektive Gleichgültigkeit. Vielleicht äußert sich jemand auch dazu und teilt einem mit, dass man ein eigenartiger Mensch geworden sei. Oder man merkt selbst allmählich, dass es um den eigenen sozialen Umgang schlecht bestellt ist. Man verliert seinen Freundeskreis, Bekannte und Verwandte stoßen den Menschen ab oder man gerät konfliktreiche Situationen und Phasen in der Partnerschaft, Familie, Freundschaft oder Bekanntschaft. Es kann sein, dass man das Gefühl bekommt, zunehmend einsam und allein zu sein. Das liegt alles daran, dass das Innenleben keinerlei Relevanz mehr in den jeweiligen Realitäten hat. Wie also wäre es möglich, dass man sich zu Hause fühlt, wenn man es zerstört hat? Schließlich nimmt man sich selbst überall mit hin.
Warum unterscheide ich zwischen Innenleben und Realität? Realität ist das, was man in seinem Bewusstsein verankert und als real wahrnimmt. Wahrnehmung ist breit gefächert und geht über die fünf klassischen Sinne des Menschen hinaus. Meistens manifestiert sich das persönliche Innenleben in der Realität in Form eines sinnbefreiten Daseins. Die Realität hat zwar Sinnhaftigkeiten, aber nicht die eigene, innere Realität. Die Sinnhaftigkeit bleibt an den Rollen gebunden und Rollen haben fürs persönliche Leben keinen besonderen Sinn, wenn man sie mehr braucht als dass die Rollen einen selbst brauchen. Wenn das Rollenbewusstsein wächst, aber das Selbstbewusstsein schrumpft, dann kommt es zu einer Sinnkrise. Es passiert kurz bevor das Selbstbewusstsein endgültig verloren geht. Das ist ein gutes Zeichen, denn man bekäme die Möglichkeit, dagegen anzukämpfen. Es gibt Charaktertypen, die dieses Problem nicht haben. Jene Personen brauchen zahlreiche Rollen, um überhaupt an etwas heranzukommen, was man als Selbstwertgefühl bezeichnen dürfte. Das sind Menschen, bei denen Beschäftigungstherapien bis zum Tode eine Selbstverständlichkeit bleiben. Sie leben sogar von Konflikten, Rollenspielen und inflationärer Rollenrelevanz. Sie hegen große Verachtung für Rollenverluste und für Menschen ohne sozialen Status oder für Menschen, die keinerlei Wert auf ihre Rollen legen.
Von der Sinnkrise zur Depression & Bipolarität
Im Gegensatz zur Sinnkrise ist die Depression weitaus unangenehmer, da sie sich auch körperlich niederschlägt. Ein depressiver Charaktertyp hat Schwierigkeiten mit sich selbst und weiß nicht weshalb. Daher ist die Sinnkrise eine Vorstufe zur Depression. In der letzten Stufe kann gar kein Mensch ausharren, ohne dabei erheblichen Schaden zu nehmen. Die missachtete Sinnkrise – vielleicht waren es sogar mehrere – verschraubt sich ins eigene Herz tief hinein und bleibt darin stecken. Wie ein elektromagnetischer Impuls in der Seele schaltet sie sämtliche Kräfte aus, die man zu besitzen glaubte. Dies geschieht zum Schutze der eigenen Existenz.
Eine Depression ist immer fallspezifisch zu differenzieren. Wie behandelt man einen depressiven Menschen? Ich sehe das Problem von Depressionen als unlösbar an, wenn wir psychologische Methoden untersuchen. Manche nehmen Medikamente, andere lassen sich psychologisch therapieren. Allerdings ist das nicht wirklich hilfreich, weil man eine Depression selbst behandeln muss. Niemand wird in eine Persönlichkeit hineingehen, dessen Gedanken und Gefühle lesen, um sie dann für den einzelnen Menschen auszuwerten. Selbst wenn es jemand könnte, fehlt ihm ein ausführlich biographisches Selbstbewusstsein. Psychologen und Psychotherapeuten sind aufgrund ihres Wissens voreingenommen, denn es geht nicht darum, einen Menschen zu heilen, sondern darum, ihn wieder gesellschaftsfähig zu machen, so dass er funktioniert. Das ist keine Heilung, wenn man darauf besteht, dass man einen Menschen nicht reparieren kann wie eine Maschine.
Bipolarität ist eine Sache für sich. Zwischen Depression und Manie kann sich ein Mensch bewegen, der sich völlig in seinen gesellschaftlichen Rollen auflösen will und es hasst, alleine zu sein. Alleine halten es diese Menschen gar nicht aus. Sie müssen immer etwas mit irgendjemandem tun. Es muss immer etwas passieren. Manie stellt diesen Anteil dar. In manischer Manier werden außergewöhnliche Dinge vollbracht. Die Kehrseite ist dann die Depression. Eine absolute Niedergeschlagenheit, die gar nichts mit der Manie gemeinsam hat, viel mehr ein Negativ dessen darstellt. Tiefe Trauer, Angst und ungeheurer Pessimismus, unverständige Untätigkeit. Es ist möglich, dass ein junger Mann fünf Jahre lang manisch arbeitet und lebt, und erst dann auf die depressive Seite seinerselbst umschlägt. Freunde sind dann schockiert. Es gibt depressive Menschen, die plötzlich ans Tageslicht treten und wie ausgewechselt sind, voller Energie und Euphorie.
Zur Bipolarität kann es kommen, wenn man die Ich-Krisen anderer in sich zu lösen versucht, oder aber es ist ein Familienproblem. In jedem Falle unterscheidet sie sich von der Depression darin, dass Aktivität und Passivität voneinander getrennt werden. In einer rein depressiven Natur sind sie nicht voneinander getrennt. Ein chronisch depressiver Mensch kann u. U. an die Arbeit gehen und lächeln. Ein bipolarer Mensch kann nur grinsen oder grimmen, und kennt kein Dazwischen, was ihm den sozialen Umgang unmöglich macht. Auch durch Drogenkonsum, durch häusliche Gewalt oder wegen genetischer Defekte kann es zu massiver Bipolarität oder sogar zur Schizophrenie kommen.
Die Ich-Krise
Die Ich-Krise bezeichnet eine Lebensphase, in der man sich selbst als in einer Krise stehend empfindet. Das heißt, dass man ein Problem mit sich selbst hat. Im wahrsten Sinne des Wortes steht hier das Selbst im Mittelpunkt. Die Definition des Selbst, die eigene Identität und unser soziales Dasein spielen zentrale Rollen bei dieser Problematik. Wie bei jeder Krise gibt es Faktoren, die die Ich-Krise verstärken, abschwächen und eskalieren lassen. Manchmal führt eine Ich-Krise zu einer umwälzenden Psychose, die sich im Freundeskreis bemerkbar macht.
Unter Depressionen leiden Menschen, die sich in ihrer Existenz weder persönlich, noch emotional wiederfinden. In der Umgangssprache nennen wir es die Bedrücktheit, oder die niederschmetternde Melancholie, und assoziieren ewige Schwarzmalerei mit einer vermeintlichen Depression. Das ist alles ganz richtig, jedoch verweisen diese Interpretationen auf eine fatale Grundhaltung. Mit der Depression könne man nicht umgehen, ist der Umkehrschluss. Man sei ihr ausgeliefert, heißt es im Volksmund weiter. Diese Annahme wundert mich nicht, da viele Menschen sich ebenso ihren eigenen Emotionen ausgeliefert fühlen.
Diese Tatsachen werden viele Menschen bestätigen, weil sie ein bestimmtes Bewusstsein teilen. Ich nenne es das Ich-im-Rollenspiel-Bewusstsein. Das Ich, das gesamte Selbstempfinden, erkennt sich dabei in den Rollen, die erfüllt werden müssen. Mutter, Vater, Sohn, Mitarbeiterin, Nachbar, Angestellter, Chef, Managerin, Arbeitssuchende, Fussballfan, Selbstständiger, Priester, Heilpraktikerin etc., doch hierbei handelt es sich lediglich um Rollen und der Mensch als individuelles Wesen findet kaum Platz in seinen Rollen. Deshalb bekommen Menschen, die ein solches Ich-im-Rollenspiel-Bewusstsein haben, eines Tages Depressionen. In diesem Kontext ist die Depression ein gesundes Ereignis, das einer Selbstauflösung vorgreift und davor warnt, so dass man nicht in retraumatisierender Selbsterschöpfung zerberstet. In der allgemeinen Definition spielen wissenschaftliche Studien eine große Rolle. Man konzentriert sich auf Vorstellungen der mutmaßlich Depressiven und studiert ihre Haltungen, Erwartungen, Aussagen und ihre biochemische Verfassung. Hinsichtlich des Studiums von Depressionen gibt es einen großen Mangel bzgl. der Therapie von depressiven Menschen. Es gibt keine Studie, die auf die Emotionalität der Patienten eingeht. Warum nicht? Nun dies hängt mit den „wissenschaftlichen“ Ansprüchen, die stets einer Rationalität der Messbarkeit unterliegen, zusammen. Allein der evidenten Zählbarkeit wird Bedeutung beigemessen. Sowohl in der Wissenschaft als auch im Alltag erscheint uns nur das Zählbare als lebenswichtig.
Von der Depression weiß jeder Mensch, dass sie das bedrückende Gefühl in der Brust darstellt. Dieses Bedrücktsein hängt nicht etwa mit einer Nachdenklichkeit oder einer fantasierten Existenz zusammen, sondern mit der Emotionalität des Menschen. Es ist nämlich ein Gefühlsproblem und kein Gedankenproblem. Selbstverständlich gibt es komplizierte Verstrickungen, die die Gedanken beeinflussen. Ich rede hier von den Ursprüngen einer Depression. Ich bezeichne dieses Empfindungsproblem als ein rein emotionales Problem, das sich auf den Verstand auswirken kann, aber nicht muss. Die Depression muss im Bewusstsein verarbeitet werden. Damit es dazu kommen kann, muss das Bewusstsein durch eine Ich-Krise deplatziert und umgewandelt werden. Als Ich-Krise bezeichne ich ein menschliches Phänomen, das eine Bedingung für ein gutes Leben ausmacht. Es ist nicht empfehlenswert, absolut sicher durch das Leben zu gehen und gar nicht möglich. Es sei denn, Sie existieren in ordentlicher Abfolge Ihrer Rollen, bis Sie sich vollends in ihnen auflösen. Sind Sie ein Rollenspieler, eine Rollenspielerin? Haben Sie Ihre sozialen Rollen so sehr verinnerlicht, dass es Sie persönlich jenseits Ihrer Rollen gar nicht mehr gibt? Das ist eine wichtige Frage, denn wann wollen Sie sich mit dieser grundlegenden Frage auseinandersetzen, wenn nicht jetzt. Im hohen Alter wird Sie sie sowieso beschäftigen, aber Sie werden nicht die gleiche Energie haben.
Sie bleiben Ihren Rollen verhaftet und stolzieren von Tischgespräch zu Tischgespräch mit Geschichten über interessante Rollengeschichten und Nichtigkeiten rollenbasierter Selbstinflation. Für Sie stellen diese Geschichten aber etwas Großartiges dar, weil Sie Ihr Leben nicht gelebt haben. Ihr Leben findet nämlich jenseits Ihrer Rollen statt. Das merken Sie daran, dass eine Routine Sie persönlich, seelisch und geistig, nicht voranbringt. Wenn Sie im Leben nicht innerlich vorankommen, dann wirkt das Äußere irgendwann wie eine auswechselbare Fassade auf Sie.
Manchen Menschen passiert es, dass sie einknicken und ins andere Extrem gehen. Sie geben jede Rolle auf und verwahrlosen im Sinne gesellschaftlicher Verantwortung. Sie haben kein Einkommen, geben ihre Rechnungen auf, melden sich nicht zurück, ziehen sich zurück und vernachlässigen irgendwann ihren Körper, ihren Geist und ihre Seele. Andere Menschen werden vom System dazu gezwungen, weil sie sich den Gewaltsystemen nicht hörig machen wollen. Wiederum andere erleiden einen existenziellen Verlust und geben das Leben auf, zum Wohle einer Mittelmäßigkeit. Es gibt unendliche Beispiellandschaften von Menschen in einer akuten Ich-Krise. Es gibt fleißige Menschen, die gefeuert werden und völlig schockiert darüber sind. Es gibt Männer, die sich umbringen, wenn sie davon hören, dass sie schwerkrank sind oder die Scheidung eingereicht wurde. Und es gibt Frauen, die dazu gezwungen werden, sich zu verkaufen (in allen möglichen Formen), um im Rollenspiel bleiben zu dürfen. Jeder Mensch wird Sie davor warnen aus dem klassischen Rollenspiel hinauszutreten, weil er selbst Angst davor hat. Die rollenfixierte Dauerindoktrination ist immer auch ein Selbstschutz, denn niemand legt wert auf Ihre Rollen, wenn er seine eigenen nicht zu ernst nimmt.
Wiederum mag man meinen, dass der Mensch grundsätzlich frei sei und nicht gezwungen werden könne. Das ist richtig, sofern er gewisse Bedingungen erfüllt. Die wohl wichtigste ist die Abhängigkeit. Eine Abhängigkeit bekommt man nicht geschenkt. Sie muss allmählich und mit der Zeit erarbeitet werden. Selbst wenn Sie es schaffen unabhängig zu werden, so merken Sie erst Recht wie wichtig das Miteinander ist, das schönere Wort für Abhängigkeit. Sie werden bedürftiger im Sinne Ihrer scheinbaren Unabhängigkeit. Es ist schön, wenn Sie nur Hausgeld, Strom und Wasser sowie Lebenshaltungskosten haben, ihnen sonst alles gehört und Ihr fixes Jahresgehalt das Tausendfache dessen ist. Trotzdem sind Sie abhängig von öffentlichen Diensten, Reparaturen, Lebensmitteln und Produkten diverser Art.
Der Mensch unter Menschen
Weshalb spreche ich über Abhängigkeit, Beruf, Existenzminimum, Scheitern und Erfolg? Diese Themen drehen sich alle um die Ich-Krise, in der Entscheidungen getroffen werden, die über die persönliche Zukunft bestimmen. Jeder Mensch bestimmt selbst über seine Zukunft. Natürlich werden Wünsche nicht auf Anhieb erfüllt, aber die Fundamente Ihrer Ziele können Sie jeder Zeit neu legen. Eine Ich-Krise hat neben ihren Gefahren, ebenso viele Vorzüge für Ihre Individualität. Sie haben Anlass zu fragen, wer Sie sind und was Sie vom Leben wollen. Das wissen wenige von sich.
Die Lebenswege von Menschen sind sehr unterschiedlich. Kaum ein umgesetzter Plan ist irgendeinem Menschen in seinem Leben 1 zu 1 gelungen. Das Schicksal sieht immer etwas anderes vor. Diese ungemütliche Tatsache bringt uns dazu, einen Ort der Berechenbarkeit zu suchen. Jedoch gibt es in der Berechenbarkeit kein wirkliches Leben. Wenn Sie immer und überall ungefähr wissen, was Sie erwartet, dann gibt es Ihnen ein Machtgefühl, aber keinen Lebenswert. Ein unwertes Leben gibt es meiner Meinung nach nicht, aber sehr wohl das missachtete, eingekerkerte Innenleben.
In der Midlife-Crisis geht es gerade darum, dass der Mensch zur Mitte seines Lebens angelangt ist, ohne eine eigene Mitte zu haben. Er findet einen Makel an sich selbst. Manche sagen, es erhebt sich ein Leben in der Seele, das auch hätte gelebt werden können. Oder aber ein Mensch versteht überhaupt nicht mehr, was oben, was unten ist. Er verändert sein Leben rapide und riskiert mehr. Menschen entwickeln ein stärkeres Geltungsbedürfnis, weil sich das Alter bei ihnen bemerkbar macht. Andere Menschen möchten sich nicht mehr ändern und ziehen sich weitestgehend zurück von ihren Mitmenschen, um ihre kleine Welt zu schützen. Die Midlife-Crisis ist nie zu unterschätzen, denn sie kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt des Lebens. Man sollte seine eigene Mitte früh genug finden und sich selbst treu bleiben, egal wie untreu die Verhältnisse sich entwickeln mögen. Um sich treu sein zu können, muss man allerdings sich selbst samt Charakter (nicht Rollen) kennengelernt haben.
Vom guten und schlechten Charakter
Persönlichkeiten sind nicht selten wie Zwiebeln strukturiert. Die Menschen ziehen Schale über Schale, Schicht um Schicht übereinander und je tiefer man in sie eindringt, desto mehr merkt man, dass so gut wie alles verschwunden ist. Die Seele zu ersticken, kann sehr unangenehme Konsequenzen haben. Womöglich nehmen Sie es gar nicht wahr, weil Sie ein anderes Bewusstsein erleben, aber Ihre Umwelt kann es in Form von Zeichen widerspiegeln. Wenn Sie bspw. acht Jahre lang eine sehr gute Freundin haben, die sich kein Stück geändert hat, über die Sie sich ab und zu ärgern, dann können Sie daheim eine Übertragung auf Sie selbst machen. „Moment mal! Habe ich mich denn überhaupt verändert oder warum ist sie mir so unsympathisch?“ Der wesentliche Unterschied zwischen dem Begriff der Persönlichkeit und dem Begriff des Charakters hängt mit den Rollen zusammen. Eine Persönlichkeit ist immer aus Rollen gewachsen. Einen Charakter erkennt man schon beim Kleinkind. Daher stellt ein Charakter immer auch für den Menschen selbst, einen guten Anker dar, der in allen Lebenslagen geworfen werden kann, falls es mal schwer wird. So bekommt man halt auf Grundlage einer urseelischen Mitte, mit der man auf die Welt gekommen ist. In dieser Mitte findet sich das Existenzielle; die Seele. Suchen Sie die Mitte in allen Dingen und Sie werden Ihre eigene Mitte finden! So tun es die großen Meister, durch Atemübungen bspw. und es hilft ihnen, sich auf ihre innere Mitte zu konzentrieren.
Gefühle sind keine Kräfte höherer Gewalt, sondern organische Elemente unseres Bewusstseins, die unserer Lebensqualität zu Gute kommen. Der Umgang mit ihnen ist ein willensfreier Umgang. Sie können nicht sagen, dass Ihre Gefühle für einen Menschen Sie völlig aushebeln. Wenn Ihnen das jemand sagt, dann verstehen Sie es als „seine Gefühle für einen Menschen bringen ihn dazu, sein Leben aushebeln zu wollen“ und nichts anderes. Gefühle können reizbar und furchtbar sein. Es genügt, wenn wir bei einem Geschäftsessen Zahnstein bei unserem Gegenüber bemerken. Für Menschen mit natürlichem Ekelempfinden ein Ausschlusskriterium für jegliche weitere Geschäftsbeziehungen. Es ist aber nicht tödlich oder gar brechreizend, egal wie viele Menschen Sie kennen, die Ihnen ihren Ekel auf diese Weise kommunizieren.
Menschen mit einem Ich-im-Rollenspiel-Bewusstsein geben sich sehr gerne ihren starken Gefühlen hin, weil es immerhin ein Gefühl ist, das mit einer Rolle verbunden ist. Manche Leute erzeugen Probleme, die keine sind, um Konfliktpotenziale zu schüren. Es geht dabei weniger um Konflikte als um Selbstgerechtigkeit. Die Ich-Krise jener Menschen besteht in ihrem Bewusstseinszustand. Sie bauen es sich nach eigenem Belieben auf und wollen nie mehr heraus. Erst ein schwerer Verlust oder ein gravierendes Ereignis zwingt sie dazu.
Die Ich-Krise ist von Mensch zu Mensch anders. Sie hängt von seiner Situation ab. Ein Mensch, der mit einem schweren Leben leben muss und dabei in seiner Mitte ausharrt, verarbeitet seine Ich-Krise sehr schnell, weiß jedoch, dass sie ein unlösbares Problem ist, für das er selbst wenig tun kann. So verschiebt sich die Verantwortlichkeit aufgrund unüberwindbarer Hindernisse. Ein Mensch, der ein sehr leichtes Leben hat, kann mit einer Ich-Krise nichts anfangen, weil sie für ihn zumeist nicht greifbar genug ist im Sinne der Leichtigkeit.
Unlösbare Menschlichkeit
Unlösbar ist die Ich-Krise, weil sie das Ich hinterfragt, das Ich sich selbst hinterfragt, der Mensch also sein Leben und seine Existenz in Frage stellt. Das können Sie zu jeder Zeit Ihres Lebens tun, um eine erhöhte Lebensqualität zu erlangen. Warten Sie lieber nicht darauf, dass Ich-Krisen von selbst auftreten! Das Ego ist geschickt im Verstecken von Ich-Krisen. Wenn Sie gar kein Problem mit sich haben, werden Sie das tun, wozu die meisten Menschen neigen: Sie werden Ihre Krisen, Probleme, Gründe, Ausreden, Sorgen und die Schuld für all dies bei anderen Menschen suchen, schlichtweg alles projizieren. Damit machen Sie indirekt Ihren Selbstwert von anderen Menschen abhängig und Sie erzeugen Krisen außerhalb Ihrer selbst. Dem entgegen wirkt nur eine Therapie mit anschließender Selbstentwicklung.
Träume für träumende Seelen
Wir sehen, dass die Seele des Menschen wahrhaftig und real ist. Wir sehen auch, dass wir Träume bekommen, wenn wir versuchen, Sinnkrisen zu verdrängen. Das kann für viele Menschen unangenehm sein und zu Zusammenbrüchen führen, wenn sie mit den Träumen nicht korrekt umgehen und sie interpretieren. Man kann versuchen, die Träume selbst zu verdrängen oder durch Schlafentzug gegen sie anzukämpfen. Das wird mit Wahrträumen nicht funktionieren. Unsere Seelen kommunizieren mit uns, weil sie ewig sind. Sie sehen uns jenseits von Raum und Zeit, helfen uns dabei unser Leben besser zu verstehen. Es wäre ein fataler Fehler davon auszugehen, wir seien endliche Stoffe ohne Sinn. Nach dieser Logik wäre es völlig egal, was wir wann und wo mit wem tun. Doch wir wissen in uns selbst bereits, dass es eben nicht so ist. Das ist das universale Paradoxon des Menschen. Sinnsuchend sinnentbehrend leben, um Unsinn zu treiben und über das Sinnvolle sprechen, ohne danach zu handeln, obwohl es uns belebt. Der Mensch scheint sich selbst lieber im Tod zu suchen, der als Traumsymbol häufig eine Wiedergeburt in der eigenen Biographie darstellt.